Skeptisches Vertrauen durch Deliberation | Zamim Naim
Die Rolle von Mini-Publics bei der Vertrauensbildung in politische Institutionen
1. EinleitungIn vielen demokratischen Staaten lässt sich seit dem 20. Jahrhundert ein zunehmender Vertrauensverlust in politische Institutionen und Prozesse beobachten, der Zweifel an der Legitimität politischer Führung aufkommen lässt (vgl. Norris 2011: 3). Vor diesem Hintergrund stellt sich die zentrale Frage, wie demokratische Systeme das Vertrauen ihrer Bürger:innen zurückgewinnen und zugleich nachhaltig stärken können – insbesondere ein Vertrauen, das nicht blind, sondern reflektiert und kritisch ist. In diesem Kontext gewinnt das von Pippa Norris beschriebene Konzept des „skeptical trust“ (Norris 2022: 7) an Relevanz. Es bezeichnet ein Vertrauen, das auf informierter Kritik und überprüfbaren Erwartungen basiert – und sich damit bewusst von bloßer Loyalität oder grundlegendem Misstrauen abgrenzt (vgl. ebd.: 17). Da reflektiertes Vertrauen auf Beteiligung und Nachvollziehbarkeit basiert, rücken Formate in den Fokus, die genau das ermöglichen. Eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung bieten deliberative Beteiligungsformate wie „[M]inipublics“ (Fung 2003: 339). Diese bestehen aus zufällig gelosten Bürger:innen, die auf kommunaler oder nationaler Ebene miteinander in den Dialog über konkrete politische Fragestellungen treten und deren Ergebnisse der politischen Entscheidungsfindung übermittelt werden (vgl. Smith/Setälä 2018: 306). Mini Publics versprechen dabei nicht nur eine stärkere Repräsentation und Inklusion, sondern auch eine Förderung politischer Bildung sowie vertrauensbildender Prozesse (vgl. ebd.). Erste Umsetzungen solcher Formate fanden bereits in den 1970er Jahren in den USA und Deutschland statt (vgl. Smith/Setälä 2018: 300) und gewannen gegen Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung: „Around 1990 the theory of democracy took a definite deliberative turn“ (Dryzek 2000: V).
Doch inwieweit sind solche Formate tatsächlich in der Lage, das skeptische Vertrauen der Teilnehmenden zu stärken? Diese Frage steht im Zentrum der folgenden Untersuchung. Zunächst werden die theoretischen Grundlagen des Vertrauenskonzepts von Pippa Norris sowie das Modell der Mini Publics erläutert. Im anschließenden Analyseteil wird zunächst das allgemeine Potenzial von Mini Publics zur Förderung politischen Vertrauens bei den Teilnehmenden untersucht. Darauf aufbauend wird der spezifische Einfluss dieser Formate auf das skeptische Vertrauen exemplarisch anhand von vier nationalen Mini Publics analysiert, die in Deutschland, Österreich, Frankreich und Irland durchgeführt wurden. Die Auswertung erfolgt sowohl quantitativ anhand von Umfrageergebnissen der Teilnehmenden als auch qualitativ anhand ausgewählter Interviews. Die Daten werden dabei entlang dreier analytischer Kategorien strukturiert – Reflexive Urteilsbildung, Kritische Unterstützung und Partizipationsbereitschaft – die Hinweise auf eine Stärkung skeptischen Vertrauens geben können. Im Fokus der Untersuchung stehen Bürger:innenräte, die dem Modell der „Citizens’ Assembly“ (Farrell et al. 2018: 1) folgen, da dieses als „potentially the most radical and democratically robust of all the minipublic types“ gilt (Escobar/Elstub 2017: 3). In diesem Format werden auch Expert:innen und teilweise Politiker:innen aktiv in die Diskussion einbezogen, was theoretisch ein höheres Potenzial zur Vertrauensbildung bietet. Andere Typen von Mini Publics werden in der Analyse nicht berücksichtigt. Im letzten Analyseschritt werden mögliche Faktoren, die die Ergebnisse verzerren können, kritisch ausdiskutiert.
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Vertrauen in demokratischen Gesellschaften
Pippa Norris (2022) zeigt in In Praise of Skepticism für das Konzept des Vertrauens zunächst auf, in welchen gesellschaftlichen Bereichen es eine Rolle spielt. Sie unterscheidet einerseits „social trust“ (ebd.: 17), das sich auf das Vertrauen zwischen Individuen innerhalb der Zivilgesellschaft bezieht (vgl. ebd.), und andererseits institutionelles Vertrauen, welches neben politischen Institutionen, wie Regierungen, Parlamente und öffentliche Behörden, auch zivilgesellschaftliche Organisationen, wie Medien und religiöse Organisationen, umfasst (vgl. ebd.: 17f.). Soziales Vertrauen wird häufig als Grundlage für institutionelles Vertrauen angesehen, da Gesellschaften mit einem höheren Maß an zwischenmenschlichem Vertrauen tendenziell auch ein größeres Vertrauen in ihre politischen Institutionen aufweisen (vgl. ebd.: 229). Neben dieser kontextuellen Differenzierung nimmt Norris eine graduelle Differenzierung des Vertrauens vor, um zu erläutern, wie Vertrauen empfunden und ausgedrückt wird. Sie identifiziert „skeptical trust“ (ebd.: 7) als ideale Vertrauensform einer Demokratie, weil es unter Anderem kritisches Denken fördere, das wiederum zu einer informierten, kritischen Haltung gegenüber Vertrauen in Institutionen, Individuen oder sozialen Strukturen führen könne (vgl. ebd.: 228). Skeptisches Vertrauen bildet einerseits das Gegenstück zu „credulous trust“ (ebd.: 7), das die Gefahr birgt, autoritäre Führungspersönlichkeiten unkritisch zu akzeptieren und Machtmissbräuche zu übersehen (vgl. ebd.: 8), und andererseits zu „cynical mistrust“ (ebd.: 7), das zu politischer Entfremdung, Demokratieskepsis und einer sinkenden Beteiligung am gesellschaftlichen Leben führen kann (vgl. ebd.: 8). Eine vierte Form von Vertrauen, die Norris abgrenzt, ist „skeptical mistrust” (ebd.: 7). Wenn eine politische Institution beispielsweise durch Korruption auffällig wird, so sei es laut Norris eine vernünftige Reaktion, ihr mit Misstrauen zu begegnen (vgl. ebd.: 6). Bürger:innen, die skeptisches Misstrauen zeigen, lehnen jedoch nicht grundsätzlich alle politischen Institutionen ab – anders als es das Konzept des zynischen Misstrauens beschreibt – sondern bewerten stattdessen diese differenziert und kritisch (vgl. ebd.).
Die bisher erläuterten Aspekte des Vertrauenskonzepts beziehen sich auf Vertrauen als subjektive Haltung oder Erwartung gegenüber einer Person oder Institution. Laut Norris sei jedoch für die Analyse des Vertrauens in einer Gesellschaft die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „trustworthiness“ (ebd.: 39) von zentraler Bedeutung: Vertrauenswürdigkeit beschreibt die objektive Fähigkeit oder Eignung, das in sie gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen (vgl. ebd.: 4) und hängt von Faktoren wie Kompetenz, Integrität und Unparteilichkeit ab (vgl. ebd.: 27). Norris kritisiert, dass viele Studien Vertrauen oft unkritisch als etwas Positives betrachten, ohne zu hinterfragen, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist (vgl. ebd.: 208). Sie betont, dass blindes Vertrauen gefährlich sein könne, wenn es nicht auf echter Vertrauenswürdigkeit basiert: „[E]ncourage compliant followers, advance unqualified acolytes, and thereby undermine accountable and responsible governance“ (ebd.: 223), werden als einige Folgen von blindem Vertrauen genannt. Eine Gesellschaft, die skeptisches Vertrauen praktiziert, erweist sich im Gegensatz dazu als stabiler. Auf der einen Seite ermöglicht es den Bürger:innen, effizient miteinander zu kooperieren und gemeinsame Ziele zum Wohl der Gemeinschaft zu verwirklichen (vgl. ebd.: 229). Auf der anderen Seite befähigt es sie, Regierung und politische Institutionen auf Grundlage ihrer tatsächlichen Leistung zu beurteilen, anstatt vorschnellen oder emotional geprägten Urteilen zu folgen (vgl. ebd.: 213). Weitere positive Effekte von skeptischem Vertrauen, die Norris anführt, sind unter anderem „strengthening the willingness of all citizens to participate in civic affairs, to obey the law voluntarily, and to believe that elected officials exercise legitimate authority” (ebd.: 230).
Norris bezieht sich in ihrer Auseinandersetzung mit dem Vertrauenskonzept stets auf Robert Putnams Theorie des Sozialkapitals, welche besagt, dass soziale Netzwerke und gemeinschaftliches Engagement in „civic associations“ (Norris 2002: 166) das Vertrauen in einer Gesellschaft fördern können (vgl. ebd.; Norris 2022: 118f.). Daher sieht auch Norris in politischen Bürger:innenbeteiligungen ein geeignetes Instrument, um das Vertrauen in politischen Institutionen aufrecht zu erhalten oder gar zu stärken (vgl. Norris 2002: 215).
2.2 Mini Publics als deliberatives Instrument
Die deliberative Demokratietheorie stellt laut Joshua Cohen (1997) nicht nur eine Regierungsform dar, sondern vielmehr eine Art „association whose affairs are governed by the public deliberation of its members“ (ebd.: 67). Gemäß dieser Theorie, hänge die Legitimation demokratischer Systeme nicht allein von Wahlen ab (vgl. Habermas 1992: 363), sondern auch von „der diskursiven Struktur einer Meinungs und Willensbildung“ (ebd.: 369) der politischen Öffentlichkeit, die sich aus „freie[n] Assoziationen“ (ebd.: 625) der Zivilbevölkerung und gesellschaftlichen Diskursen formt und Einfluss auf die staatliche Entscheidungsfindung nehmen kann (vgl. Bächtiger/Parkinson 2019: 9). Um eine faire und inklusive Deliberation zu gewährleisten, betont Habermas die Notwendigkeit eines herrschaftsfreien Diskurses, in dem Bürger:innen gleichberechtigt Argumente austauschen und sich auf gemeinwohlorientierte Lösungen verständigen (vgl. ebd.: 369).
Mini Public verkörpern dieses Ideal deliberativer Demokratie in institutionalisierter Form (vgl. Fishkin 2009: 81), da sie geschützte Räume für deliberative Prozesse schaffen, in denen zufällig ausgewählte Bürger:innen gemeinsam über gesellschaftlich relevante Themen beraten und Empfehlungen für politische Entscheidungsträger:innen formulieren (vgl. Dahl 1989: 340). Auch Graham Smith und Maija Setälä (2018) gestehen den Mini Publics gute Deliberationsräume zu – also Orte, in denen offen gesellschaftliche Probleme identifiziert und gemeinsam kooperierend gelöst werden können (vgl. ebd.: 303). Mini Publics bilden also ein inklusives und diverses Panel, das mit Expert:innen interagiert und einfache Diskussionen in Gruppen führt, indem sich die Teilnehmenden gegenüber anderen äußern und rechtfertigen müssen (vgl. ebd.: 302f.).
Charakteristisch für Mini Publics ist eine Zufallsauswahl der Teilnehmenden, die häufig so geschichtet wird, dass verschiedene sozioökonomische Gruppen sowie sonst unterrepräsentierte gesellschaftliche Gruppen angemessen vertreten sind (vgl. ebd.: 302). Die Größe der Versammlung bzw. die Anzahl der ausgewählten Teilnehmenden müssen Goodin und Dryzek nach zwei Anforderungen gerecht werden: „small enough to be genuinely deliberative, and representative enough to be genuinely democratic“ (Goodin/Dryzek 2006: 220). Abgesehen von der Größe unterscheiden sich Mini Publics auch hinsichtlich ihrer angestrebten Ergebnisse und ihrer Dauer (vgl. Smith/Setälä 2018: 301). Eine Untersuchung zu OECDMitgliedsstaaten und Nichtmitgliedsstaaten zeigt, dass die durchschnittliche Dauer eines Mini Publics, das dem Modell der Citizens’ Assembly folgt, elf Monate beträgt und in der Regel mit 90 Teilnehmenden durchgeführt wird (vgl. Česnulaitytė 2020: 35). In der Regel werden Mini Publics von staatlichen Behörden in Auftrag gegeben, um eine informierte öffentliche Meinung zu bestimmten dringenden politischen Fragen einzuholen (vgl. Smith/Setälä 2018: 306).
3. Mini Publics als Instrument zur Förderung skeptischen Vertrauens
3.1 Auswahl der Kriterien
Im Zentrum dieser Analyse steht die Frage, inwiefern Mini Publics zur Förderung von skeptischem Vertrauen im Sinne von Pippa Norris beitragen können. Wie bereits erläutert, beschreibt skeptisches Vertrauen eine demokratisch wünschenswerte Haltung, bei der Bürger:innen den politischen Institutionen nicht blind vertrauen, ihnen aber auch nicht grundsätzlich misstrauen. Stattdessen zeichnet sich diese Form des Vertrauens durch eine kritische, informierte und zugleich konstruktive Grundhaltung aus. Um die Wirkung der Mini Publics auf diese Haltung zu analysieren, werden die Umfragen und Interviews der Teilnehmenden von vier nationalen Bürger:innenräten sowohl quantitativ als auch qualitativ erhoben sowie ausgewertet und entlang von drei zentralen Kategorien strukturiert. Norris nennt zwar diese drei Dimensionen nicht konkret in ihrem Werk, jedoch lassen diese sich aus dem theoretischen Konzept ableiten lassen.
Die erste Kategorie ist die "reflexive Urteilsbildung", welche Norris’ Vorstellung von „[c]ritical citizens” (Norris 2011: 10) aufgreift, die politische Informationen nicht nur aufnehmen, sondern auch abwägen, reflektieren und sich eine eigene, begründete Meinung bilden. Wenn Berichte zeigen, dass die Teilnehmer:innen sich durch den Bürger:innenrat neues Wissen angeeignet haben, indem sie beispielsweise politische Prozesse besser verstehen und sich informiert fühlen oder Argumente reflektieren, könnte das ein Zeichen für die Stärkung skeptischen Vertrauens sein. Skeptisches Vertrauen bedeutet nicht, dass Bürger:innen Institutionen blind vertrauen, sondern dass sie ihr Vertrauen auf überprüfte Informationen und eine bewusste Abwägung von Argumenten stützen. Die Kategorie "kritische Unterstützung" steht im Zentrum von Norris’ Konzept: Sie unterscheidet zwischen blindem Vertrauen, zynischem Misstrauen und einer kritischen Loyalität gegenüber demokratischen Institutionen. Die Analyse dieser Haltung erlaubt Rückschlüsse darauf, ob Teilnehmende nach dem Mini Public differenzierter und konstruktiver über Politik urteilen. Wenn die Teilnehmenden Institutionen nicht pauschal ablehnen, sondern differenziert fordern, dass sie zum Beispiel transparenter oder responsiver sein sollen, spricht das für skeptisches Vertrauen. Die "Partizipationsbereitschaft" schließt an Norris’ Überlegungen zur politischen Aktivierung an (vgl. Norris 2002: 215f.). Skeptisches Vertrauen kann auch darin zum Ausdruck kommen, dass Bürger:innen sich selbst als Teil des demokratischen Prozesses begreifen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, sich kritisch einzubringen oder sich weiter zu engagieren. Wer blind vertraut oder total misstraut, bleibt womöglich eher passiv.
3.2 Mechanismen der Vertrauensbildung durch Mini Publics
Für die Demokratie sollen Mini Publics mehr Partizipation und Teilhabe für die Bürger:innen ermöglichen und die Entfernung vom Wahlvolk und den gewählten Entscheidungsträger:innen abbauen (vgl. Smith/Setälä 2018: 306). Die dort „kommunikativ erzeugte Macht[,] […] [welche] in administrativ verwendbare Macht umgeformt [wird]“ (Habermas 1992: 362f.), sei laut Smith und Setälä (2018) demokratisch legitimiert (vgl. ebd.: 306). Die Tatsache, dass nicht nur die Wahlstimmen der Bürger:innen, sondern auch ihre in Mini Publics erbrachten Vorschläge Einfluss auf das politische System haben können, könnte insbesondere bei denjenigen, die den demokratischen Institutionen per se misstrauen, zu einem Vertrauensanstieg führen. Darüber hinaus soll das Verständnis der Bürger:innen für opponierende Meinungen gefördert werden, indem die Teilnehmenden sich aufeinander zu bewegen und einen gemeinsamen Konsens bilden (vgl. ebd.). Opponierende Meinung in einer Diskussion haben immer zur Folge, dass man sich mit ihnen kritisch auseinandersetzen muss, um einen gemeinsamen Konsens zu bilden. Besonders für das politische System führen Mini Publics zu gesellschaftlich akzeptablen Urteilen, da es in der politischen Führung oftmals um Partialinteressen und Machterhaltung gehe (vgl. ebd.: 308).
Somit reihen sich MiniPublics, laut Smith und Setälä, im politischen Prozess als Gegenmodell zu den immer wieder systematisch produzierten regierenden Klassen, die teilweise fernab der Realitäten der Menschen agieren (vgl. ebd.: 310). Merkel et al. (2021) fügen hinzu, dass „[w]enn Bürger:innen und die breite Öffentlichkeit wahrnehmen, dass Bürgerräte halten, was sie versprechen, […] das Vertrauen in politische Teilhabe an demokratischen Prozessen wachsen [könne]“ (ebd.: 28). Daraus lässt sich schließen, dass politische Teilhabe per se eng mit skeptischem Vertrauen verknüpft ist: Menschen, die der Politik entweder völlig misstrauen oder ihr blind vertrauen, dürften kaum zur aktiven Beteiligung motiviert sein. Teilhabe setzt vielmehr eine Auseinandersetzung mit politischen Inhalten voraus – eine informierte, reflektierte Haltung, in der sich Kritikfähigkeit und Engagement nicht widersprechen, sondern gegenseitig bedingen.
3.3 Empirische Befunde
3.3.1 Reflexive Urteilsbildung
Irland gilt als Vorbild für deliberative Demokratie und Bürger:innenbeteiligungen (vgl. Farrell et al. 2018: 1), da es in den letzten Jahren sehr erfolgreich Beteiligungsprozesse für Bürger:innen genutzt hat, die in kürzester Zeit (2016 und 2018) zu zwei Referenden geführt haben (vgl. ebd.: 6) beispielsweise die "Citizen’s Assembly" 2018. Dieses Mini Public bestand aus 99 per Los ausgewählte Bürger:innen, die anhand bestimmter soziodemografischer Merkmale ausgewählt wurden, um die irische Bevölkerung möglichst repräsentativ abzubilden. Dabei wurden Faktoren wie Geschlecht, Alter, regionale Herkunft und Bildungsstand berücksichtigt (vgl. ebd.: 2). Es wurde von der irischen Regierung einberufen, um fünf vom Parlament ausgewählte, zentrale gesellschaftliche und verfassungsrechtliche Fragen, wie das Abtreibungsrecht, die Alterspolitik, den Klimawandel und Parlamentsreformen, zu diskutieren (vgl. ebd.: 1). Die Empfehlungen, die durch die Bürger:innen ausgearbeitet wurden, führten unter anderem zum historischen Referendum zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr 2018 (vgl. Field 2018: 609). Die meisten der Teilnehmer:innen in Irland berichten von einem neutralen Umfeld und einem hohen Respekt für opponierende Meinungen (vgl. Farrell et al. 2018: 5). Es wird berichtet, dass „[e]veryone could make their point […] There was no shouting“ (ebd.: 6). Die Teilnehmer:innen "Bürgerrats Demokratie" in Deutschland äußerten sich ebenfalls positiv über das Diskussionsklima, indem man „Gleichgesinnte treffen beziehungsweise andere Meinungen hören [könne]“ (Mehr Demokratie e. V.: 19). Dieser Bürger:innenrat war das erste Mini Public in Deutschland auf bundesweiter Ebene (vgl. Geißel et al. 2019: 2) und wurde 2019 von der Bundesregierung initiiert. An zwei Wochenenden im September 2019 erarbeiteten 163 zufällig ausgewählte, repräsentative Bürger:innen Empfehlungen zur Stärkung der deutschen Demokratie und machten diese der Regierung zugänglich (vgl. ebd.: 5). Ein solches Diskussionsklima, welches in den Bürgerräten herrschte, kann eine reflexive Urteilsbildung fördern, da die Teilnehmenden offen für neue Perspektiven sind und ihre eigenen Überzeugungen kritisch hinterfragen. Indem die Teilnehmenden ohne Gruppenzwang argumentieren und – frei nach Habermas – allein dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ (Habermas 1995: 58) folgen, können sie unterschiedliche Perspektiven ernsthaft abwägen. Das Zusammenspiel aus kritischer Reflexion und positiver Erfahrung demokratischer Verfahren kann schließlich eine Haltung des skeptischen Vertrauens fördern.
Im Rahmen der irischen Citizens‘ Assembly gab eine große Mehrheit der Teilnehmer:innen an, durch die unterschiedlichen Perspektiven und den sachlichen Informationen von Expert:innen ihr Wissen erweitert zu haben (vgl. The Citizens‘ Assembly 2018: 99f.). Das erworbene Wissen führte auch in Deutschland beispielsweise zu „mehr Verständnis für die Politik und auch [für] die Politiker” (Geißel et al. 2019: 29). Dies wiederum hatte zur Folge, dass einige nun mehr Respekt für Politiker:innen und ihre Arbeit haben (vgl. ebd.: 30), was die Distanz zwischen der Bevölkerung und der Politik verringern und zu mehr politischem Vertrauen führen kann. Beim "Klimarat der Bürgerinnen und Bürger" in Österreich gaben 91% der Teilnehmer:innen an, ebenfalls ihr Wissen durch die wissenschaftlichen Beiträge erweitert zu haben (vgl. Praprotnik et al. 2022: 14). Der Klimarat wurde 2022 von der österreichischen Bundesregierung ins Leben gerufen und von einem unabhängigen wissenschaftlichen Gremium begleitet, um Empfehlungen für Klimaschutzmaßnahmen zu erarbeiten (vgl. Buzogány et al. 2022: 9). Über sechs Wochenenden hinweg diskutierten 100 zufällig ausgewählte Bürger:innen, die die österreichische Bevölkerung repräsentierten, zentrale Themen wie Energie, Mobilität, Ernährung und Wohnen und entwickelten konkrete Vorschläge für die Regierung (vgl. ebd.). Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse lösten im österreichischen Fall zunächst wachsende Besorgnis über den Klimawandel aus, da vielen das Ausmaß des Problems in dieser Intensität nicht bewusst war (vgl. ebd.: 19). Mit der Zeit ließ diese Sorge bei den Teilnehmenden jedoch nach, da das neu erworbene Wissen zugleich das Vertrauen stärkte, dass wirksame Maßnahmen gegen die Bedrohung des Klimawandels ergriffen werden können (vgl. ebd.). Die Aussage, Österreich könne selbst als kleines Land effektive Klimaschutzmaßnahmen durchführen, wurde von 27% der Teilnehmenden, die befragt wurden, stärker unterstützt als im Vorfeld des Klimarats. Auch in Frankreich gaben im Rahmen der "Convention Citoyenne pour le Climat" (CCC) die meisten der Teilnehmer:innen an, einen Lerneffekt verzeichnet zu haben (vgl. Apouey 2020: 361). Dieser Klimarat wurde 2019 von Emmanuel Macron mit dem Ziel einberufen, Maßnahmen zu erarbeiten, um eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen von mindestens 40% bis zum Jahr 2030 zu erreichen (vgl. Brehm/Lochon 2021: 3). 150 zufällig ausgewählte Bürger:innen tagten bis Juni 2020 und wiesen einen starken Konsens zu den erarbeiteten Maßnahmen auf – lediglich eine der 150 Maßnahmen wurden vom Plenum abgelehnt (vgl. ebd.: 79).
3.3.2 Kritische Unterstützung
Insgesamt stieß die Citizens’ Assembly in Irland bei den Teilnehmenden auf große Zustimmung, jedoch kritisierten einige die knapp bemessene Zeit zur inhaltlichen Auseinandersetzung (vgl. The Citizens’ Assembly 2018: 99). Eine vergleichbare Forderung äußerten auch Teilnehmende des französischen Klimarats: 32 von 50 Befragten wünschten sich auf der einen Seite mehr Zeit für die Beratungen, auf der anderen Seite die Möglichkeit, früher im Prozess abstimmen zu können (vgl. Apouey et al. 2020: 450). Auch die österreichischen Bürger:innen brachten Kritik an der Struktur des Klimarats zum Ausdruck (vgl. Praprotnik et al. 2022: 13). Hier wird deutlich, dass sich die Befragten weitere Mini Publics wünschen, was ein gewisses Vertrauen in Deliberationen zeigt, jedoch stehen sie dem aktuellen Prozess skeptisch gegenüber und verlangen daher eine Anpassung.
Auf die Empfehlungen zur Abtreibung und Klimapolitik reagierte die irische Regierung zügig und setzte entsprechende parlamentarische Ausschüsse ein, was den Teilnehmer:innen positiv auffiel (vgl. Farrell et al. 2018: 5f.). Eine Reaktion auf die übrigen drei Themen blieb jedoch bis zum Erscheinen des Evaluationsberichts von Farrell et al. (2018) aus, weshalb viele Bedenken hinsichtlich der Umsetzung durch die Regierung äußerten (vgl. ebd.: 6). Zur Umsetzung der Vorschläge gab es auch beim Mini Public in Deutschland Zweifel. Eine Teilnehmerin erhoffte sich zum Beispiel, dass die erarbeiteten Vorschläge „auch Anklang finde[n] und nicht in einer Schublade verschwinde[n]“ (Mehr Demokratie e. V. 2019: 16). Einerseits zeigt die schnelle Reaktion der irischen Regierung auf bestimmte Empfehlungen (Abtreibung und Klimapolitik), dass politische Institutionen in der Lage sind, Bürger:innenbeteiligung ernst zu nehmen und konkrete Maßnahmen abzuleiten, was das Vertrauen in politische Prozesse stärken kann. Andererseits bleibt die fehlende Umsetzung anderer Vorschläge nicht unbeachtet – sowohl in Irland als auch beim Bürgerrat Demokratie zeigt die Skepsis der Bürger:innen, dass sie politische Institutionen nicht blind vertrauen, sondern kritisch beobachten, ob ihre Anliegen auch wirklich umgesetzt werden.
Der österreichische Klimarat von den Teilnehmenden insgesamt als "sehr gut" bewertet (vgl. Praprotnik et al. 2022: 13). Einige Befürworter:innen des Prozesses äußerten jedoch den Eindruck, dass insbesondere eloquente Personen innerhalb der Deliberation bevorzugt wurden (vgl. ebd.: 13f.). Zwar besteht ein grundlegendes Vertrauen in den deliberativen Prozess, gleichzeitig bleiben die Teilnehmenden wachsam gegenüber möglichen Verzerrungen. Die Rolle der Politiker:innen wurde mehrheitlich als enttäuschend wahrgenommen, da sie – mit Ausnahme einer Partei – „disinterested, arrogant and only interested in hearing their own voices“ (ebd.: 16) waren. Hier zeigt sich erneut das Spannungsverhältnis zwischen Skepsis und Vertrauen: Die Teilnehmenden bringen einem von der Regierung initiierten Deliberationsinstrument zwar grundsätzlich Vertrauen entgegen, blicken jedoch kritisch auf das Verhalten der politischen Vertreter:innen. Ergänzend bestätigen Kuntze und Fesenfeld (2021), dass sowohl beim Klimarat in Österreich als auch in Frankreich ein gewisses Misstrauen gegenüber den politischen Akteur:innen besteht, die am Deliberationsprozess beteiligt waren (vgl. ebd.: 6).
3.3.3 Partizipationsbereitschaft
Geißel et al. (2019) stellen für Deutschland fest, dass das Mini Public das Interesse an mehr politischer Beteiligung bei den Teilnehmer:innen insgesamt gesteigert hat (vgl. ebd.: 30). Insbesondere die Bereitschaft, an zukünftigen Wahlen teilzunehmen, Unterschriften zu sammeln, sich an direktdemokratischen Abstimmungen zu beteiligen sowie an anderen Bürger:innenversammlungen mitzuwirken, ist im Laufe des Bürgerrats Demokratie gestiegen (vgl. ebd.). Die Teilnehmenden „sehe[n] besser als vorher eine Verantwortung mitzugestalten“ (Mehr Demokratie e. V. 2019: 29) oder „möchte[n] gern Gleichgesinnte treffen beziehungsweise andere Meinungen hören – was Demokratie für andere ausmacht“ (Mehr Demokratie e.V. 2019: 19). Einerseits lässt die Bereitschaft, an weiteren politischen Beteiligungsformen teilzunehmen, darauf schließen, dass die Teilnehmenden das politische System grundsätzlich als funktional wahrnehmen. Andererseits zeigt ihre Bereitschaft, den Dialog mit unterschiedlichen Meinungen zu suchen, dass sie nicht blind vertrauen, sondern durch eigenes Engagement eine Absicherung anstreben.
Die gestiegene Partizipationsbereitschaft ist auch in Österreich zu erkennen: Die Frage, ob die Teilnehmenden sich mit anderen intensiv über den Klimarat austauschen würden, verneinte lediglich eine Person. Alle anderen gaben an, ihr erworbenes Wissen entweder aktiv zur Aufklärung anderer zu nutzen oder es bereits im persönlichen Umfeld, bei Schulbesuchen oder in einem Fernsehauftritt weitergegeben zu haben (vgl. ebd.: 21). Schließlich sei die Partizipationsbereitschaft, so zwei Teilnehmende, das zentrale Ziel des Klimarats: [E]ach participant brings impulses to the outside world“ (ebd.). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der französischen Bürger:innenversammlung: 41 von 51 befragten Teilnehmenden berichteten, ihre Erfahrungen im Anschluss mit Personen geteilt zu haben, die nicht an der Versammlung beteiligt waren (vgl. Apouey et al. 2020: 435). Die Gespräche fanden vor allem im privaten Umfeld, teilweise aber auch im öffentlichen Raum wie Bürger:innencafés, Vereinen oder Universitäten statt (vgl. ebd.: 436). Dieses aktive Teilen und Diskutieren der deliberativen Erfahrungen lässt sich als Ausdruck skeptischen Vertrauens interpretieren. Die Teilnehmenden zeigen damit nicht nur Interesse am politischen Prozess, sondern auch die Bereitschaft, ihre Perspektiven kritisch zu reflektieren und weiterzugeben – ein Zeichen für ein wachsendes, aber zugleich reflektiertes Vertrauen in demokratische Beteiligungsformate. Es handelt sich dabei nicht um blindes Vertrauen, sondern um ein politisch engagiertes Vertrauen, das durch Dialog, Argumentation und Austausch gestärkt wird.
3.4 Probleme bei der Interpretation der Daten
Im Rahmen einer Studie von Fabre et al. (2020) wurden die Teilnehmenden in Frankreich nach dem ersten Sitzungstag gefragt, ob sie die meisten Menschen generell als vertrauenswürdig einstufen würden. Dieselbe Frage wurde einem repräsentativen Teil der französischen Bevölkerung gestellt, die nicht an der CCC teilgenommen hat. Das Ergebnis legt nahe, dass Teilnehmende der CCC ein höheres Maß an sozialem Vertrauen aufweisen (vgl. ebd.: 3). Laut Norris bildet soziales Vertrauen die Grundlage politischen Vertrauens (vgl. Norris 2022: 229). Daher sollte bei der Interpretation der Daten auch die Möglichkeit einer Verzerrung in Betracht gezogen werden: Es ist denkbar, dass die Teilnehmenden bereits vor dem Mini Public aufgrund ihres ausgeprägteren sozialen Vertrauens ein höheres politisches Vertrauen mitbrachten.
Auch im Fall des Klimarats in Österreich liegt die Vermutung nahe, dass ein Großteil der Teilnehmenden bereits im Vorfeld ein gewisses Maß an politischem Vertrauen hatte. Ihre Teilnahme am Deliberationsprozess erfolgte überwiegend aus Neugier oder dem Wunsch, sich einzubringen – weniger jedoch aus dem erklärten Ziel, politische Entscheidungen aktiv beeinflussen zu wollen (vgl. Praprotnik et al. 2022: 12). Dies deutet darauf hin, dass viele dem Entscheidungsprozess der politischen Führung grundsätzlich Vertrauen entgegenbringen – allerdings kein blindes, sondern ein reflektiertes Vertrauen, das sich in der Bereitschaft zur argumentativen Auseinandersetzung innerhalb eines Bürger:innenrats manifestiert. Generell kann für jedes der hier aufgeführten Mini Publics festgehalten werden, dass diejenigen, die Mitmachen, womöglich von Natur aus gewisse Tendenzen zum skeptischen Vertrauen aufweisen. Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen, die politischen Institutionen blind vertrauen oder gänzlich misstrauen, sich freiwillig in Bürgerräten engagieren würden. Womöglich würde der Effekt von Mini Publics auf das skeptische Vertrauen der Teilnehmer:innen etwas anders ausfallen, wenn die die Grundgesamtheit der Zufallsauswahl die gesamte Bevölkerung und nicht nur Freiwillige umfassen würde. Geißel et al. (2019) bemängeln ebenfalls, dass nicht alle Präferenzen der Bevölkerung vertreten werden können: Diejenigen, die bereits im Vorfeld des Bürgerrats eine hohe Bereitschaft zur politischen Partizipation aufwiesen, waren überrepräsentiert (vgl. ebd.: 32).
Darüber hinaus zeigen die Erhebungen von Praprotnik et al. (2022), dass sich 94 % der Teilnehmenden des österreichischen Klimarats bereits vor Beginn des Prozesses als politisch interessiert einschätzten – davon 41 % sogar als stark interessiert. Überraschenderweise sank dieser Anteil im Verlauf der Arbeit auf 82 % (vgl. ebd.: 23). Ein hohes Maß an politischem Vertrauen führt also nicht zwangsläufig zu einem Anstieg des politischen Interesses. Im Gegenteil: Politisches Interesse kann sogar sinken, wenn Bürger:innen der politischen Führung so sehr vertrauen, dass sie keine Notwendigkeit mehr sehen, sich intensiver mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Auch andere Faktoren wie Ermüdung oder eine veränderte Einschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten könnten in diesem Fall zu einem rückläufigen Interesse geführt haben – trotz eines möglichen Vertrauenszuwachses. Umgekehrt bedeutet ein Rückgang politischen Vertrauens nicht automatisch einen Rückgang des politischen Interesses. Aufkeimendes Misstrauen kann auch zu einem höheren Engagement führen, etwa durch verstärkte Teilnahme an politischen Protesten – das Interesse nimmt also zu, obwohl das Vertrauen sinkt (vgl. Grande/SaldiviaGonzatti 2024: 13). Trotz dieser Ambivalenz kann eine potenziell positive Korrelation zwischen politischem Vertrauen und politischem Interesse bestehen. Entsprechend sollte bei der Interpretation der Ergebnisse auch hier die Möglichkeit von Verzerrungen berücksichtigt werden.
4. Fazit
Die vorliegende Analyse zeigt, dass deliberative Beteiligungsformen, die insbesondere dem Modell der Citizens’ Assembly folgen, durchaus Potenzial zur Förderung eines skeptischen Vertrauens im Sinne von Pippa Norris bieten. Die Auswertung der Daten aus vier nationalen Bürgerräten in Deutschland, Frankreich, Irland und Österreich verdeutlicht, dass insbesondere der Lerneffekt, die deliberative Qualität des Prozesses und der Einblick in politische Entscheidungsfindungen zentrale Faktoren für die Entwicklung eines positiven, jedoch skeptischen Vertrauens sind. Die Deliberationen zeichneten sich insbesondere dadurch aus, dass gegensätzliche Meinungen ausgetauscht wurden, was teils zu Konflikten führte. Diese Konflikte, so argumentieren 40 von 49 Befragten des französischen Klimarats, seien in demokratischen Prozessen unvermeidlich, und es müsse ein besserer Umgang mit ihnen gefunden werden (vgl. Apouey 2020: 451f.). Die Teilnehmenden aller Mini Publics nahmen die Verfahren mehrheitlich als ernsthaft, respektvoll und inklusiv wahr – Bedingungen, die skeptisches Vertrauen nicht nur ermöglichen, sondern aktiv fördern können. Durch die Auseinandersetzung mit politischen Themen und das Einbringen eigener Perspektiven erzielten die Bürger:innen bedeutende Fortschritte in der Qualität ihrer politischen Urteile, was als Grundlage für ein reflektiertes und skeptisches Vertrauen in die Politik dient.
In Bezug auf die kritische Unterstützung lässt sich feststellen, dass Mini Publics bei vielen Teilnehmenden zu einer differenzierten Haltung gegenüber politischen Institutionen führten. Es zeigte sich, dass die Teilnehmenden nicht in unkritische Zustimmung verfielen, sondern ihre Unterstützung mit einer klareren Vorstellung von den Verantwortlichkeiten und Grenzen politischer Institutionen verbanden. Diese differenzierte Unterstützung spricht für eine potenziell gestärkte Legitimierung der politischen Akteure, ohne dabei eine naive Loyalität zu fördern.
Schließlich deutet die Analyse der Partizipationsbereitschaft darauf hin, dass MiniPublics das Engagement der Teilnehmenden in weiteren politischen Prozessen anregen können. Die aktive Teilnahme an politischen Diskussionen und die Auseinandersetzung mit komplexen Themen motivierten viele dazu, sich stärker in demokratische Prozesse einzubringen. Dies legt nahe, dass solche Formate nicht nur das Vertrauen in die Politik stärken, sondern auch die Bereitschaft zur langfristigen Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen fördern.
Dennoch sollten die Ergebnisse mit Bedacht betrachtet werden: Die Teilnehmenden bewerben sich freiwillig für einen Bürger:innenrat und werden anschließend zufällig und nach statistischen Methoden repräsentativ ausgewählt. Daher ist anzunehmen, dass die Teilnehmenden bereits zu Beginn ein hohes Maß an politischem Vertrauen aufweisen, was die Ergebnisse verzerren könnte. Eine vertiefte Analyse, bei der das vorab vorhandene politische Vertrauen als Kontrollvariable behandelt und die Teilnehmenden gezielt nach Faktoren befragt werden, die auf skeptisches Vertrauen hindeuten, könnte noch klarere Ergebnisse liefern. Dennoch bestätigen die Resultate, dass die Teilnehmenden ihre Rolle kritisch reflektierten, neues Wissen und Kompetenzen erwarben und eine gesteigerte Bereitschaft zur politischen Partizipation zeigten, was das skeptische Vertrauen in politische Institutionen stärken kann.
5. Literaturverzeichnis
Apouey, Bénédicte/Fourniau, Jean-Michel/Tournus, Solène (2020): Données brutes d’observation de la Convention citoyenne pour le climat. Volume C – Les réponses de la CCC session par session. [Online abgerufen].
Bächtiger, André/Parkinson, John (2019): Mapping and Measuring Deliberation: Towards a New Deliberative Quality, Oxford: Oxford University Press.
Brehm, Anna/Lochon, Lucie (2021): Der französische Bürgerrat für das Klima: Vorgeschla-gene Maßnahmen und Stand der Umsetzung, Berlin: DFBEW. [Online abgerufen].
Buzogány, Aron/Ehs, Tamara/Plöchl, Jana/Scherhaufer, Patrick (2022): Evaluation Report of the Austrian Climate Citizens’ Assembly. Assessment of input, process, and output, Wien: University of Natural Resources and Life Sciences. [Online abgerufen].
Česnulaitytė, Ieva (2020): Models of representative deliberative processes, in: OECD (Hrsg.): Innovative Citizen Participation and New Democratic Institutions. Catching the Deliberative Wave, Paris: OECD Publishing, 33-64.
Cohen, Joshua (1997): Deliberation and Democratic Legitimacy, in: Bohman, James/Rehg, William (Hrsg.): Deliberative Democracy. Essays on Reason and Politics, Cambridge: MIT Press, 67-91.
Dahl, Robert A. (1989): Democracy and Its Critics, New Haven/London: Yale University Press.
Dryzek, John S. (2000): Deliberative Democracy and Beyond. Liberals, Critics, Contestations, New York: Oxford University Press.
Escobar, Oliver/Elstub, Stephen (2017): Forms of Mini-publics: An introduction to deliberative innovations in democratic practice. [Online abgerufen].
Fabre, Adrien/Apouey, Bénédicte/Douenne, Thomas/Giraudet, Louis-Gaëtan/Laslier, Jean-François/Macé, Antonin (2020): Convention Citoyenne pour le Climat: Les citoyens de la Convention comparés à des échantillons représentatifs de la population française. Note de travail. [Online abgerufen].
Farrell, David M./Suiter, Jane/ Harris, Clodagh (2018): ‘Systematizing’ constitutional delibera-tion: the 2016–18 citizens’ assembly in Ireland, in: Irish Political Studies, Vol. 34, 1, 1-11.
Field, Luke (2018): The abortion referendum of 2018 and a timeline of abortion politics in Ire-land to date, in: Irish Political Studies, Vol. 33, 4, 608-628.
Fishkin, James S. (2009): When the People Speak: Deliberative Democracy and Public Consultation, Oxford: Oxford University Press.
Fung, Archon (2003): Survey Article: Recipes for Public Spheres: Eight Institutional Design Choices and Their Consequences, in: Journal of Political Philosophy, Vol. 11, 3, 338-367.
Geißel, Brigitte/Dean, Rikki/Jung, Stefan/Wipfler, Bruno (Hrsg.) (2019): Bürgerrat Demokra-tie. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Evaluation, Frankfurt am Main. [Online abgerufen].
Goodin, Robert E./Dryzek, Robert S. (2006): Deliberative Impacts: The Macro-Political Up-take of Mini-Publics, in: Politics & Society, Vol. 34, 2, 219-244.
Grande, Edgar/Saldivia-Gonzatti, Daniel (2024): Die Vertrauenslücke. Wachsendes Misstrauen als Gefahr für die Demokratie, in: WZB-Mitteilungen, Vol. 24, 183, 10-14.
Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Habermas, Jürgen (1995): Theorie des kommunikativen Handelns. Band I. Handlungsrationali-tät und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kuntze, Lennart/Fesenfeld, Lukas Paul (2021): Citizen assemblies can enhance political feasi-bility of ambitious climate policies. [Online abgerufen].
Mehr Demokratie e.V. (Hrsg.) (2019): Bürgergutachten Demokratie. Die Empfehlungen des Bürgerrats in Leipzig. 13./14. und 27./28. September 2019, Berlin. [Online abgerufen].
Merkel, Wolfgang/Milačić, Filip/Schäfer, Andreas (2021): Bürgerräte. Neue Wege zur Demo-kratisierung der Demokratie, Wien: Friedrich-Ebert-Stiftung. [Online abgerufen].
Norris, Pippa (2002): Democratic Phoenix. Reinventing Political Activism, Cambridge: Cambridge University Press.
Norris, Pippa (2011): Democratic Deficit. Critical Citizens Revisited, New York: Cambridge University Press.
Norris, Pippa (2022): In Praise of Skepticism. Trust but Verify, New York: Oxford University Press.
Praprotnik, Katrin/Ingruber, Daniela/Nash, Sarah/Rodenko, Roman (2022): Evaluation Report of the Austrian ‘Klimarat’. UWK, Assessment of the Perspectives of the Members and the Public, Wien: University for Continuing Education Krems. [Online abgerufen].
Smith, Graham/Setälä, Maija (2018): Mini-Publics and Deliberative Democracy, in: Bächtiger, André/Dryzek, John S./Mansbridge, Jane/Warren, Mark (Hrsg.): The Oxford Handbook of Deliberative Democracy, Oxford: Oxford University Press, 300-314.
The Citizens’ Assembly (Hrsg.) (2018): Report and recommendations of the Citizens’ Assem-bly. On the fourth and fifth topics. The manner in which referenda are held & fixes term par-liaments. [Online abgerufen].